Folgen der Globalisierung

Im Dienstleistungssektor übernimmt Indien im Zuge der Globalisierung der Weltwirtschaft zunehmend Aufgaben eines „back office“ für ausländische Unternehmen, die Verwaltungsarbeiten und Call-Center nach Indien auslagern. Die ökonomische Bedeutung speziell von Bangalore beruht jedoch in erster Linie auf der vorherrschenden Funktion als Produktionsstandort im Billiglohnsegment. Produziert wird hauptsächlich Software, und das zu einem Bruchteil der Kosten, die in Deutschland anfallen würden.

Ebenso auffällig wie die vielfältigen und tiefen kulturellen Gegensätze zu Europa sind die wachsenden kulturellen Gemeinsamkeiten durch die Globalisierung, die gerade in Bangalore allgegenwärtig sind. Die in den letzten Dekaden entstandene breite Mittelschicht adaptiert vielfach einen westlichen, individualisierten und konsumorientierten Lebensstil. Immer mehr Menschen verfügen über ein hohes Bildungsniveau und intensive Kontakte in die Europäische Union und in die Vereinigten Staaten.

In Indien wurde mir bewusst, dass die Globalisierung vielfach gerade den Armen und den sozial Schwächeren die Existenz sogar noch weiter erschwert. Tatsächlich profitiert gegenwärtig nur ein kleiner Bevölkerungsanteil von der Globalisierung und deren Auswirkungen, während etwa 350 Mio. Menschen weder lesen noch schreiben können und weniger als einen US-Dollar am Tag zur Verfügung haben.

Dass sich durch die Globalisierung die Schere zwischen arm und reich weiter öffnet, gilt jedoch nicht nur für das Entwicklungsland Indien, sondern ins besondere auch für die postindustrielle Gesellschaft Deutschlands.

Hinduistisches Kastensystem

Das Kastensystem ist die Basis des gesellschaftlichen Lebens im Hinduismus und ordnet den Einzelnen unter anderem Berufe zu, deren Ausübung in Indien noch immer stark mit der Kastenzugehörigkeit zusammen hängt.

Die traditionelle Organisation der Gesellschaft durch das hinduistische Kastensystem begünstigt die Entstehung großer materiell besitzloser und nahezu rechtloser gesellschaftlicher Gruppen. Auch wenn es staatliche Maßnahmen gibt, die Benachteiligungen niederer Kasten zu kompensieren, so hat das Kastensystem auch heute noch einen ausgeprägten sozialen Einfluss.

Waren früher grundsätzlich keine gemeinsamen Mahlzeiten erlaubt, weil Hochkastige das gemeinsame Mahl mit Niedrigkastigen als verunreinigend empfanden, ist heute allerdings besonders in urbaner Umgebung die traditionelle Trennung zwischen den einzelnen Gesellschaftsgruppen in diesem Bereich größtenteils aufgehoben. Andererseits ist es selbst in großen und modernen Städten wie Bangalore oder Delhi heute noch üblich bei der Suche nach einem Heiratspartner auf die Kastenzugehörigkeit zu achten.

Ulsoor und der Bull Temple

Auch das ist Bangalore: neben schön angelegten Gärten, Shopping Malls und Technologieparks, findet man auch Stadtteile, in denen Elend und Verwahrlosung vorherrschen. So z. B. in Ulsoor.

Gestern hatten wir erst den Ulsoor Lake angeschaut, der eigentlich schön war, wenn man davon absieht, dass das Wasser leicht grün war. Der dazugehörige Fluss glich eher einer Müllhalde. Eigentlich ist es wirklich schade, dass die Menschen so mit ihrer Natur umgehen. Doch diese plagen andere Sorgen. Direkt am Fluss leben Menschen in Slums. Ganze Familien leben in Zelten aus Plastikplanen. Die Kinder scheinen sich ihrem Schicksal noch nicht bewusst.

Stadtteilwechsel: Basavanigudi. Hier besichtigten wir den Bull Temple. Kempe Gowda, der Gründer von Bangalore, ließ 1537 den Tempel errichten. Im Innern findet man ein Abbild von Nandi, einer Gottheit in Wesen eines Bullen. Die Statue besteht aus einem knapp fünf Meter hohen Granitmonolith.

Den Abend haben wir im erst kürzlich eröffneten Hard Rock Cafe Bangalore ausklingen lassen. Die Atmosphäre, aber vor allem die Musik haben mir sehr zugesagt. Bangalore ist nach Bombay nun die zweite Stadt in Indien mit Hard Rock Cafe.

Glamour und Elend

Indien ist ein Land voller Gegensätze. Am deutlichsten sieht man dies in der 5-Millionen-Metropole Bangalore. Nirgendwo sonst in Indien sind die Gegensätze zwischen Armut und Reichtum, zwischen Glamour und Elend, zwischen Spitzenbildung und Analphabetismus so groß wie hier.

Auf den Straßen begegne ich oft Bettlern, was mir sehr zu denken gibt. Viele Menschen in Indien benötigen Hilfe. Die Lebenshaltungskosten sind jedoch sehr gering. Eine Tasse Tee bekommt man in Bangalore für 2,50 Rupien (knapp 5 Cent), eine einfache Mahlzeit kostet etwa 10 Rupien und ein Haarschnitt beim Friseur 20 Rupien. So ist eine Spende von wenigen Rupien durchaus angemessen.

Die IT-Unternehmen bemerken von all der Armut wenig. Sie verfügen über eine eigene vom öffentlichen Netz unabhängige Stromversorgung, firmeneigene Fitness-Center, Restaurants und Betriebsärzte. In Bangalore leben ‚Erste Welt‘ und ‚Dritte Welt‘ in Sichtweite nebeneinander. Ich bin mir sicher, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein wird!

Madras

Die Flugtickets für unsere Wochenendreise buchten wir telefonisch. Das hatte dann zur Folge, dass Nicos Ticket auf „Nicolasm“ und meines auf „Alexzand“ ausgestellt war. Mit der Schreibweise von Namen scheint man es in Indien nicht so genau zu nehmen. Probleme bei den Sicherheitskontrollen hatten wir an dem Freitagabend jedenfalls keine.

Gegen 23:00 erreichte unsere Boing 747-800 der Fluggesellschaft Jet Airways die Hafenstadt Madras am Indischen Ozean. Vom Flughafen aus ließen wir uns mit einer Rickshaw zum Stadtzentrum bringen. Auf der 20-minütigen Fahrt durch die Straßen und Gassen von Madras, wurde ich Zeuge von Armut und Elend, wie ich es in diesem Ausmaß noch nicht gesehen hatte.

Menschen schliefen mit Stofffetzen bekleidet am Straßenrand. Es waren nicht wenige. Abgemagert waren sie alle, manche hatten offene Wunden, einige von ihnen sahen aus als wären sie tot – oder jedenfalls kurz davor. Am schlimmsten war es zu sehen, wie auf einem kleinen Platz eine ganze Großfamilie lag. Drei Generationen lagen dort, neben einem Abwasserkanal, umgeben von Müll und streuenden Hunden.

Auf eine luxuriöse Unterkunft haben wir daraufhin verzichtet und checkten in einem einfachen Hotel ein. Lang war unsere Nacht sowieso nicht. Am nächsten Morgen stand schließlich noch einiges auf dem Programm. Es fällt mir übrigens nicht leicht, in einem Abschnitt von menschenunwürdigen Gegebenheiten zu berichten und einige Zeilen später von prächtigen Bauwerken und tollen Sandstränden zu schwärmen. Aber so ist Indien nun mal. Glamour und Elend wohnen hier Tür an Tür.

Frühstücken waren wir am Samstagmorgen in einem kleinen Café. Zu einem Cappuccino bestellte ich mir ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte. Auf die Frage warum die Torte eigentlich ‚Black Forest‘ genannt wird, wusste die Bedienung allerdings keine Antwort.

Ein außergewöhnlicher Tempel in Madras ist der Kapaleeshwarar Kovil. Das Shiva-Heiligtum beherbergt das göttliche Ehepaar Kapaleeswarar. Er wurde im drawidischen Stil erbaut und ist einer der bedeutsamsten Tempel des Shivaismus, einer hinduistischen Glaubensrichtung. Unsere Schuhe mussten wir vor dem Betreten des Geländes ausziehen. Geführt wurden wir durch die Anlage von einem Mönch, der uns die unterschiedlichen Rituale (roter Punkt und weiße Asche auf Stirn…) erläuterte, die notwendig sind, um die Gottheiten zu ehren und deren Segen zu erlangen.

Anschließend besuchten wir die St. Thomas‘ Cathedral, in der angeblich die Gebeine des heiligen Thomas liegen. Die römisch-katholische Kirche wurde 1504 erbaut, 1893 bekam sie eine neugotische Fassade und 1986 wurde sie von Papst Johannes Paul II. besucht.

Am Nachmittag sind wir am Marina Beach angekommen. Da Madras in einer flachen Küstenebene, nur knapp über dem Meeresspiegel, liegt, waren die Folgen des Tsunamis verheerend. Von den Schäden ist allerdings nichts mehr zu sehen. Der Strand ist mit 13km der zweit längste der Welt.

Nachdem wir uns in einem chinesischen Restaurant gestärkt hatten, suchten wir den Busbahnhof auf. Es ist der größte Indiens und ist – warum auch immer – nach ISO 9001:2000 zertifiziert. Von dort aus ließen wir die Millionenmetropole Madras hinter uns und fuhren in die 3,5 Stunden entfernte Stadt Pondichéry.